Wo Alltägliches zu Kunst wird

Leistungsschau Was hat den Segen einer neunköpfigen Jury erhalten, nachdem 149 Bewerber ihre Bilder, Skulpturen, Installationen und Videos für die Große Schwäbische Kunstausstellung eingereicht hatten? Eine Bilanz  Von Rüdiger Heinze und Michael Schreiner
Augsburg Wenn an diesem Samstag im Augsburger Schaezlerpalais und im H2-Zentrum für Gegenwartskunst die 69. Große Schwäbische Kunstausstellungeröffnet wird, dann ist zweierlei kaum übersehbar: der hohe Anteil figurativer und gegenständlicher Arbeiten zum Einen; zum Anderen die zunächst einmal rein quantitativ starke Beteiligung von Künstlerinnen. In Zahlen: Unter den 149 Bewerbern waren 88 Frauen, von denen nach der Jurierung noch 37 verblieben – gegenüber 31 Männern.
Damit wächst natürlich die Chance der Frauen auf den ausgelobten Preis dieser großen schwäbischen Kunstprüfung des Berufsverbandes Bildender Künstler. Und in der Tat erhält ihn 2017 eine Frau: die Augsburgerin Claudia Geßner (*1958) für ihr Großformat „aus Idyll: du siehst mich nicht“ (Bild links oben). Auch wenn die Kunst von Frauen bis heute nicht solche Preise erzielt wie die von Männern: Es ist etwas geschehen seit Anfang des letzten Jahrhunderts, als Frauen noch nicht Kunst studieren durften.
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Ein Drittes sticht ins Auge: Dass sich die vielen figurativen und gegenständlichen Arbeiten nur ausnahmsweise dem Repräsentativen widmen. Dass sie fast durchweg –mit oder ohne Verfremdungseffekt – das Alltägliche, Private, Intime, Leise, auch das trist Funktionale und das Banale studierend ins Auge nehmen. Bildwürdig heute scheint vor allem das Beiläufige und die eigene Welt. Als beachtenswerte Kristallisationspunkte solcher Sicht können unter 83 gezeigten Arbeiten gelten: Christian Odatos schönes graues Aquarell „nicht-ort“, dazu ein diesmal klar erkennbar ausgebreiteter „Elektroschrott“ von Georg Kleber (Kohle auf Vlies) sowie die farbstark-ungestüme Porträt- und Seelen-Serie von Daniela Kammerer. Unter den Fotoarbeiten fällt die Beschäftigung mit urbanen Strukturen und Räumen auf – wie etwa die aparten Draufsichten auf Augsburger Straßenkreuzungen von Gerald Bauer.
Das Gesamtbild der ohne Themenvorgabe ausgeschriebenen Ausstellung hat „nichts von flippiger Fabriketage“, sondern ist „eher gesetzt“, wie BBK-Vorsitzender Norbert Kiening einräumt. Ob das nur am eher gesetzten Alter der Teilnehmer liegt, von denen nicht wenige das 60. Lebensjahr überschritten haben? Anstößiges, Widerspenstiges findet sich kaum in dieser Großen Schwäbischen. Das solide Wohnzimmerwerk dominiert. Wie schon in den vergangenen Jahren fallen einem beim Rundgang auch künstlerische Handschriften ein, die wieder nicht dabei sind – jene etwa von Günther Baumann, Karen Irmer oder Christofer Kochs.